susanne bender   bilder installation auftragsarbeiten


Prof. G.M. Obermair

Eröffnungsrede zur Ausstellung von Susanne Bender im Kunstwerk, Regensburg im Februar 1991

Die weiße Frau vom Brandberg
Tsisabschlucht, Namibia

Wie sie sehen, sind die Bilder von Frau Bender ohne Titel. Wir dürfen uns also welche erfinden; das große Bild herausgreifend, schlage ich vor : Felszeichnung vor nächtlicher Landschaft.
Die Erinnerung, die dieses Bild heraufruft, geht zum Brandberg, einen einsamen, hohen Granit-Massiv in der Mitte einer der kargesten Wüsten dieser Erde, der Namib in SW-Afrika, heute Namibia. Mehr als 20 000 Felszeichnungen der Buschmänner hat man allein in den Schluchten und Grotten dieses wilden Gebirges inzwischen gefunden, viele Hunderttausende, oft in Schichten übereinander, an anderen Stellen des Landes; die bekannteste ist die weiße Frau mit ihren Begleitern.

Wer sind die Buschleute, oder besser: wer waren sie, bis die südafrikanische Regierung sie im Krieg gegen Angola 20 Jahre lang als Späher missbraucht, in Dörfern angesiedelt, alkoholisiert und vernichtet hat? Sie waren eine der letzten Steinzeit Kulturen, Sammler, Jäger, Tänzer, Träumer, Geschichtenerzähler, Künstler. Ja auch Jäger, doch auf die Jagd gingen sie erst, nachdem die Jäger in tage- und nächtelanger magischer Beschwörung ihre Beute, die eine, bestimmte, zu findende Antilope geträumt hatten, vergegenwärtigt, ins eigene Leben gebracht. Ist das Tier dann wirklich erjagd, das Blut des Opfers vergossen, so ritzt der Jäger seine Haut, lässt sein Blut fließen: das Gleichgewicht der Verletzungen muss hergestellt werden.

Dies ist das Zentrum der ältesten bekannten Kulturform: der magischen Kultur. Vor dem mythischen Zeitalter: der Versenkung in die Welt durch Mythos und Meditation, weit vor der Moderne mit ihrem Versuch der Beherrschung der Welt durch rationale Erkenntnis, liegt die Lebensform, der wir begegnen: die Beschwörung der Welt durch magische Berührung. Nicht Einswerden mit Gott ist das Ziel, noch weniger die Unterwerfung der Materie, sondern tanzend das Gleichgewicht zu halten in der Vielfalt der Erscheinungen.
So entstanden und so entstehen Bilder; so entstanden in Jahrtausenden solche Felszeichnungen, wie wir sie in Frau Benders großem Bild zu erkennen vermögen.
Diese Bilder sind die älteste Schrift, die Vorläufer aller Hieroglyphen, abstrakte Vergegenwärtigungen von gelebtem Leben, in den Fels geritzte Gedanken.

Die Tiere, die Tänzer, die Träumer und die Dämonen, sie sind in Susanne Benders Bild wie auf einer Bühne in drei, in der Tiefe gestaffelten und doch sich durchdringenden Schichten gegenwärtig: in der mittleren Ebene farbig, farbig sinnlich, organisch, die Beschwörung der unmittelbaren Wahrnehmung.
Diese Ebene wird durchschnitten, von rechts nach links immer mehr in den Vordergrund schreitend, von der Szene der weißen Frauen, die in ihrer Reduktion auf Kontur - noch tanzend - doch auch schon Symbole, Hieroglyphen, Gedankenbilder entwerfen: Felszeichnungen.

Dahinter schließlich die Grundschicht, schwarzblaue und schwarze Schatten mit verfließender Kontur: Dämonen? Oder nur Risse in der Wirklichkeit, ausgefranste Löcher in der Projektionsleinwand, auf die wir unsere Bilder werfen, um die Illusion der Wirklichkeit herzustellen?
Das große Projekt der Moderne, die Unterwerfung der Welt durch rationale Erkenntnis, beginnt brühig zu werden; manche versuchen, die Trostlosigkeit, die durch die Brüche hereindringt, mit neuer Religiosität zu bannen, ein Klima der Regression, einer liebenswerten kindlichen Bemühtheit beginnt sich auszubreiten: sie wollen wieder werden wie die Kinder.
Ehrlicher, radikaler, revolutionärer scheint es, uns noch einmal zurückzuwenden zu den ersten, ältesten Erwachsenen, die als homo sapiens auf dieser Erde gelebt haben, zu den Buschleuten und zu ihresgleichen. Dort stoßen wir auf ein anderes Projekt5 von „Welt“: Die Wirklichkeit, als Entwurf, auch als Illusion, das ist nämlich: Lichtspiel, Vorspiegelung, Beschwörung durch Bild und Zeichen, durch Traum und Tanz.

Revolution, so hat ein Berühmter gesagt, das heißt: die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Das Heitere in Susanne Benders neuen Bildern liegt, so scheint mir, darin, dass sie - und wenn auch nur auf der Leinwand - die Verhältnisse zum Tanzen bringt.

zurück



  home text presse vita ausstellungen kontakt